Deaflympics: Henrik Templin blickt mit vielen schönen Erinnerungen auf die Sommerspiele in Samsun zurück

von fruecker, 08. August 2017

Giessener Anzeiger. Von Olivia Harder TREIS – Wie es wohl ist, ein Interview mit einem Menschen zu führen, dessen Gehör beeinträchtigt ist? Werden wir uns einigermaßen gut verständigen können? Ob wohl ein Dolmetscher, der die Gebärdensprache beherrscht, anwesend sein wird, um zu übersetzen? Oder müssen wir uns gar mit Händen und Füßen unterhalten? In diese aufgeregten Überlegungen hinein grüßt Henrik Templin herzlich, lächelnd, sympathisch, und alle Bedenken sind verschwunden. Das Gehör des 16-Jährigen aus Staufenberg-Treis, der im vergangenen Monat an den Deaflympics, den Olympischen Spielen der Gehörlosen und Hörgeschädigten, im Beachvolleyball teilgenommen hat, ist nämlich nur zum Teil eingeschränkt, und mit einem Hörgerät funktioniert die Kommunikation sogar einwandfrei. Dieses Hilfsmittel darf er allerdings bei offiziellen Turnieren nicht benutzen. „Auch das gegenseitige Zurufen fällt bei uns weg, weil wir Sportler haben, die vollständig gehörlos sind“, ergänzt Templin. „Dafür haben wir aber eine alternative Verständigungsmöglichkeit, die jedoch im Beachvolleyball üblich ist: Wir geben uns hinter dem Rücken Handzeichen, die beispielsweise anzeigen, wie ein Block gestellt werden soll. Das ermöglicht uns nicht nur eine sprachfreie Kommunikation, sondern ist gleichzeitig eine Weise zu kommunizieren, ohne dass der Gegner den Inhalt der Nachricht mitbekommt.“ Bis auf Kleinigkeiten, wie etwa, dass die Schiedsrichter mit Trillerpfeifen nicht viel ausrichten können und sich stattdessen mit Am-Netz-Rütteln bemerkbar machen müssen, unterscheidet sich die Gehörlosen-Variante des Spiels nicht vom gewöhnlichen Beachvolleyball. Ein Glück für Templin, dessen Einstieg in den Gehörlosensport „relativ plötzlich“ geschah. „Begonnen habe ich mit Leichtathletik, bevor ich zum Handball wechselte“, erinnert sich der Schüler. Als er aber merkte, dass seine Talente, aber auch seine Interessen, woanders liegen, entschied er sich für den Volleyballsport und trainiert seitdem beim TV Waldgirmes. Ein Jahr später erfolgte dann der Einzug in den Hessenkader. Gleichzeitig begann Templin, bereits erste Beachvolleyball-Turniere zu spielen und erst in diesem Frühjahr gelangte er schließlich über Bekannte in den Gehörlosensport. „Dann ging alles ziemlich schnell: Nach der Kontaktaufnahme mit dem Gehörlosensportverein in Düsseldorf wurde ich zum Mannschaftstraining eingeladen und der Beachvolleyball-Bundestrainer Johannes Koch wurde auf mich aufmerksam. Alles endete dann in einer Nominierung für die diesjährigen Deaflympics.“ Bevor es aber Mitte Juli zu den Sommerspielen in das türkische Samsun gehen konnte, die mittlerweile in die 23. Runde gehen, standen noch Beach-Lehrgänge an, von denen der Staufenberger aber nur bedingt profitierte: „Gleich in der ersten Trainingseinheit mussten wir uns auf neue Spielbedingungen einstellen: Es ist viel heißer, die Luftfeuchtigkeit ist höher und es ist auch windiger als in Deutschland – alles Faktoren, die das Spiel beeinflussen können“, berichtet Templin. Nach dem Auslosen der Gruppen ging es sogleich ans Eingemachte. Nach zwei Siegen gegen den Iran und Brasilien und einer Niederlage gegen die russischen Favoriten konnte sich Henrik Templin mit seinem Spielpartner Tobias Franz als Gruppenzweiter für die K.o.-Runde qualifizieren. Auch das Achtelfinale meistere das Duo; erst im Viertelfinale mussten sich die beiden Sportler gegen die späteren Sieger aus der Ukraine geschlagen geben und nahmen zuletzt einen wohlverdienten sechsten Platz mit nach Hause. Aber Templin bringt nicht nur eine tolle sportliche Leistung mit, sondern hat auch Neues über sich gelernt: „Ich muss an meiner Konzentration arbeiten, damit sich leicht zu vermeidende Fehler nicht mehr einschleichen. Außerdem habe ich gemerkt, dass mir Beachvolleyball viel besser gefällt: Es ist eine ganz andere Herausforderung, im Sand zu spielen. Und dadurch, dass wir nur zu zweit sind, trägt jeder von uns mehr Verantwortung – dafür haben wir aber auch ein größeres Spektrum an Spielmöglichkeiten, denn wir müssen das abdecken, was im Volleyball sechs Feldspieler leisten.“ Auch weiß der Treiser zu schätzen, dass er im Zuge der Deaflympics erstmals intensiveren Kontakt zur Gebärdensprache hatte: „Sobald man nur einige Begriffe kennt, erleichtert das die Kommunikation maßgeblich, vor allem, wenn man einen vollständig gehörlosen Spielpartner hat“, meint der Staufenberger. „Auch wenn es leichter ist, sich sprachlich zu unterhalten, so hat die Gebärdensprache etwas Schönes, weil man zusätzlich zu den Handzeichen mit seiner Gestik und seiner Mimik arbeitet und Emotionen so auf eine ganz eigene Weise Ausdruck verliehen wird.“ Stolz darf Templin auf alle seine Errungenschaften allemal sein – nur Zeit wird er dafür wenig haben: Er möchte seinen Fokus weiter auf den Beachvolleyball setzen, peilt noch bessere Leistungen an, damit eventuell eine Förderung herausspringt, kämpft ab dem kommenden Schuljahr mit den Leistungskursen Sport und Chemie – und hat dabei den Blick bereits auf die nächsten Deaflympics in vier Jahren gerichtet.